Die Wollkämmer

Gemälde: Männer und Frauen, die Wolle behandeln und kämmen - 1595, NL

Die  Wollkämmer  bereiten Rohwolle durch Kämmen oder Kardieren zum Spinnen vor.
Dabei werden die Fasern so ausgerichtet, dass sie parallel zu liegen kommen.

kl. illu: sich kreuzende alte Wollkämme

Durch durch das Kämmen zwischen zwei Wollkämmen mit stählernen Zinken werden aus der Wolle sämtliche kürzeren Fasern, Knötchen und Unreinheiten entfernten, welche dabei als sogenannter ‚Kämmling‘ ausgesondert werden. Gekämmte Wolle  (im Fachjargon als Kammzug bezeichnet)  wird hernach zu qualitativ hochwertigem Kammgarn versponnen.

kl. bemalte Tonfigur: Wollkämmer bei der Arbeit - um1800, ES


Für Streichgarn hingegen wird die Wolle kardiert, wobei die Wollfasern lediglich längs geordnet werden und sowohl lange als auch kurze Fasern als Gemisch verbleiben. Da dieser Prozess weniger aufwendig ist und obendrein kein Abfall anfällt, ist die Herstellung von Streichgarn unter’m Strich preisgünstiger.

Sammelbild: Wollkämmer bei der Arbeit ~1575

Der Wollkemmer

Die Wolle, eh‘ sie zum Webstuhl gelangt, bedarf der sorgfältigen Pflege.
Von kurzen, unsaubern Fäden befreit sie der Kämmer mit Kämme, auch Krämpel und Strähle.
Das Zunftrecht gab an, daß nur Meister das Werk, nicht aber Gesellen ausübten.
Beim Tuchmacher mußten die Knechte den Brauch und Handwerkssitte erlernen.
Dann und wann verkauften auch die Meister den Abfall und grobe Teile, den Kämmling,
welcher im Weben geringeres Tuch ward.

<<< [Tengelmann-Sammelbild mit historischer Abb. von ca. 1575.]

Kupferstich: Wollkämmer an der Krämpelbank - 1698

Besondere Anerkennung erfuhren die Wollkämmerer nicht. Ihre Tätigkeit galt als niedere Arbeit – last but not least, da sie oft auch in Zucht- und Arbeitshäusern ausgeübt wurde.


Berufsbezeichnungen

Wollkämmer u. Wollkämmerin   –  (veraltet)  Kämmer,  Kämmler,  Kemmer, 
Wollkemmer,   Wollenkemmer,   Wullenkämbler,  Wullenkämmer
Kardierer u. Kardiererin   –  (veraltet)  Kardätscher,  Wollkardätscher,  Wollstreicher,  Wollenstreicher,  Wullenstreicher

in anderen Sprachen
Bulgarisch:банкови карти
Englisch:wool comber, carder, teaser
Französisch:cardeur, cardeuse
Griechisch:ακονιστή
Italienisch:cardatore
Katalanisch:cardador
Lateinisch:lanarius
Niederländisch:wolkammener
Polnisch:gręplarz, gręplarka
Portugiesisch:lã comber, cardador de lã
Russisch:кардеров, кардеровa
Slowenisch:volne glavnik
Spanisch:cardador de lana, carder
Tschechisch:mykač

verwandte Berufe:   Kardenmacher,   Wollbereiter,   Tuchmacher,   Tuchscherer,   Spinner,   Flachser,   Hanfer


Schutzpaton & Zunftzugehörigkeit

Sandsteinbüste des Hl. Blasius mit Bischofsstab u. Wollkamm in Händen - NL

Blasius war Bischof von SEBASTE, der damaligen Hauptstadt der römischen Provinz Kleinarmenien (heute SIVAS im NO der Türkei). Er wurde Opfer der Römischen Christenverfolgungen und starb um 316 den Märtyrertod.

Kalksteinrelief: Martyrium des Hl. Blasius - 13.Jh, FR


Überliefert ist,
dass der arme Blasius
mit Wollkämmen gemartert wurde.

Zum Heiligen erklärt wurde er im Mittelalter
u.a. zum Schutzpatron zahlreicher Handwerksberufe,
zu denen entsprechend auch die Kämmler gehören.

Die Wollkämmer waren – ebenso wie die ihnen voraus arbeiteten Wollschläger – in der Regel nicht in eigenen Zünften organisiert, sondern den Tuchmachern oder anderen Webern zugeordnet.


Die Arbeit der Wollkämmer

Gemälde: Bäuerin beim Wollezupfen - 1875, FR
sw Fotopostkarte: Oma u. Mutter nebst 6 Kindern zupfen an Tisch sitzend Wolle ~1910


Rohwolle eignet sich nicht unmittelbar zur Weiterverarbeitung.
Zum einen müssen ggf. noch enthaltene Stroh- oder Pflanzenreste entfernt und zum anderen zusammenhängende Faserbündel gelöst und durch Zupfen fluffig gemacht werden. Diese von Hand zu verrichtende Vorarbeit wurde früher oft von Kindern und älteren Menschen erledigten.


Um Wolle hernach zu Garn verspinnen zu können, muss diese als nächstes gekämmt werden. Anfangs benutzte man dazu einzelne getrockneten Fruchtstände von Disteln (lat. ‘carduus’). Aufgrund dieser Verwendung war die sogenannte ‘Weberdistel’ eines der Innungszeichen der Wollkämmer, Tuchmacher und Tuchscherer.

Farbfoto: Nahaufnahme von 3 getrockneten Distelköpfen
Farblitho: historische, 2reihig mit Distelköpfen bestückte Kardätsche


Die Arbeit mit den bloßen Disteln war sehr mühevoll und brachte kluge Köpfe dazu, aus mehreren Distelköpfen nebst Griff ein Werkzeug herzustellen – Kardätsche genannt. Nach einigem Gebrauch waren die Spitzen jedoch abgenutzt und die Fruchtstände mussten ersetzt werden.

Also dachten kluge Köpfe über verbesserte Werkzeuge nach
und erfanden Wollkämme und Handkarden.

Zeichnung: Das Kämmen der Wolle - 14. Jh, GB
Frau kämmt Wolle an Tischgestell
15. Jh, Florenz
Frau hantiert mit zwei großen Wollkarden
15. Jh, Florenz


Bereits im Spätmittelalter wurden Wollkämme und Handkarden paarweise, teils auch mit Gestell verwendet. Das Kämmen wurde sowohl von Männern, als auch von Frauen besorgt.

Buchmalerei: 3 Mönche, die im Mittelalter als Wollkämmer tätig waren

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Neben den städtischen Wollkämmern wurde das Kämmen der Wolle auf dem Land auch von manchen Bauern als typische Winterarbeit ausgeübt. Von September bis zum März zogen sie entweder von Ort zu Ort zu festen Auftraggebern oder Schafbesitzer brachten ihnen die Rohwolle.

Der Wollkämmler kommt
[…] nach der mühseligen Wascherei wurden die Schafe noch im Freien gelassen, damit sie erst wieder einigermaßen trocken wurden. Nach etwa acht Tagen kamen die Schäfer auf die einzelnen Höfe, um nun die Tiere zu scheren; […]. Die Wolle stopfte man in Säcke und stellte sie beiseite. Etwa im September oder Oktober kam dann der Wollkämmer […]. Der Kämmler setzte fest, wann er zum Kämmen komme.

Die Vorbereitungen
Dann gab der Bauer den Seinen den Auftrag, den Kohlenpott und den dicken Stein herzukriegen und vom Bäcker [oder Schmied] Holzkohlen zu holen. Morgens früh schon stellte sich der Kämmler ein. Er setzte seinen Pott auf die Diele, wo die Haken zum Anhängen des Kammes waren, zündete die Holzkohlen in dem alten Eisentopfe an und legte seinen dicken Stein auf den Topf. Auf diesen Stein wurde nämlich eine Rübölflasche gesetzt, und auf den Stein legte er auch die Kämme zum Heißwerden.

Holzstich: Der Wollkämmer ~1850, GB

Das Kämmen der Wolle
Nun holte der   W o l l k ä m m e r   die Wolle aus dem Sacke und klopfte sie tüchtig mit einem Rohrstocke aus, damit kein Sand und kein Staub darin blieb. Dann zupfte er sich einen Teil Wolle zurecht, träufelte etwas Rüböl dazwischen und rollte das Ganze auf. Alsdann wurde der größere heiße Stahlkamm an die Haken in der Wand gehängt. Mit der aufgerollten Wolle schlug er nun immer gegen die langen Zinken des großen Kammes, bis sein Klumpen alle und der Kamm voll war. Darauf faßte er die Wolle, die im oberen Zinken saß, und zog sie aus dem Kamme, nachdem sie erst noch schön glatt gekämmt worden war.

Zug um Zug
Dieser „Tost“ (Kammzug genannt), der etwa armlang und gut handbreit war, wurde nun beiseite gelegt. Jetzt kam der zweite an die Reihe. War auch er fertig gekämmt, so wurde er schön auf den ersten gelegt, und so fort bis etwa zum vierten oder fünften. Alsdann wurden diese zum Bündel aufgewickelt und in einen sauberen Sack geworfen. Inzwischen war der zweite Kamm schon heiß geworden. der Kämmler zupfte wieder aufs neue Wolle, träufelte wieder Öl hinein und verarbeitete auch sie wieder in derselben Weise, bis alle Wolle gekämmt war.

Dann bekam der Wollkämmer seinen Lohn und ging zum nächsten Bauern. Je nach Größe des Dorfes blieb er oft einige Wochen. Jedes Jahr kam er fast um dieselbe Zeit, ja fast auf den Tag genau wieder. Er gehörte zu den guten, alten Bekannten und war deshalb überall gern gesehen.

[Ernst Bock: Alte Berufe Niedersachsens, 1926]
Farbfoto: fertiggestellter Kammzug

Das Video zeigt, wie mittels Wollkämmen ein Kammzug ensteht …

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und dieses Video , wie mittels Handkarden Wolle für Streichgarn aufbereitet wird.

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Werkzeuge & Utensilien

Korb mit Schurwolle und aufliegenden Wollkarden
  • Rohwolle
  • Wollkämme mit Metallzinken (auch Krämpel oder Strähle genannt)
  • Kammgestell, das sich an Tisch oder Wand befestigen lässt
  • Handkarden (Holzbrettchen mit stabilem Griff, die Arbeitsfläche mit Leder bezogen und mit vielen kleinen gebogenen Nägeln oder Häkchen bestückt)
  • Kardierbank, -schaukel oder -walze
  • Öfchen oder Gluttopf, nebst Holzkohle
  • Rüböl (Raps- o. Rüpsenöl) oder anderes auswaschbares, pflanzliches Öl
  • Zinkenrichter
  • Wollausziehzange

Beginn einer neuen Ära

Leichter wurde die Arbeit mit der Erfindung und Einführung der maschinellen Kämmerei ab Ende des 18. Jahrhunderts. Kleinere Unternehmen gründeten sog. Wollmühlen und steigerten ihre Produktion, indem sie mittels mit Wasser angetriebenen Kämmmaschinen arbeiteten.

Und im Rahmen der allgemeinen Elektrifizierung und Industrialisierung wuchsen alsbald auch viele große Wollkämmerei aus dem Boden, wo in riesigen Maschinenhallen ‚en masse‘ produziert werden konnte.

In der Folge verlor der Beruf der händisch arbeitenden Wollkämmer freilich mehr und mehr an Bedeutung.


Spurensuche: ‚Kniestreicher‘

Farbfoto: Wollkämmerin als Portalfigur - 13.Jh, FR

Sowohl in den Enzyklopädien von Adelung und Grimm,
wie auch bei Krünitz (18./19. Jh) findet sich der Kniestreicher.
Bei dem geheimnisumwobenen Gerät handele es sich um sehr filigrane Kardätschen (im Dänischen als ‘Knäkarte’ bezeichnet) mit subtilsten Häkchen versehen, die auf keiner Krämpelbank Platz fanden und daher auf dem Knie befestigt von Wollkämmern benutzt wurden. Im Volksmund wurden die das Gerät nutzenden Kämmer und Kämmerinen selber bisweilen ebenso als   K n i e s t r e i c h e r   bezeichnet.

Die Sandsteinfigur einer Wollkämmerin aus dem 13. Jh.
– zu finden im Tympanon der linken Pforte am Nordportal der frz. Kathedrale in Chartres –
veranschaulicht, wie es zur Bezeichnung Kniestreicher gekommen sein mag.


kl. illu: Wollkämmer u. Wollkämmerin