Reifendreher üben ein regional auf das Erzgebirge begrenztes, seltenes Holzhandwerk aus.
Es entwickelte sich seit etwa 1800, zur Zeit des Niedergangs des Zinnbergbaus.
Der erste, uns schriftlich überlieferte Hinweis auf das Reifendrehen ist in einem Bericht des Rates der Stadt Dresden von 1810 zu finden. In diesem ist in von Häusern die Rede, die ‚auf der Drehmaschine in großen Reifen ausgedrehet und dann zerschnitten werden‘.
Die in der Gegend um Seiffen entwickelte Technik des Reifendrehens, erfordert sehr viel Geschicklichkeit und Erfahrung.
Nach dem Drechseln und Zerschneiden der Reifen, werden die Teile einzeln beschnitzt und bemalt. Das Ergebnis sind kleine Tiere und andere Figuren oder auch Nachbildungen von Häusern aus Holz, die als Spielzeug oder zum Ausschmücken (beispielsweise von Weihnachtspyramiden oder -krippen) Verwendung finden.
Das Reifendrehen selbst plus Nutzung von Wasserkraft ermöglichte im 19. Jahrhundert eine rationelle Massenproduktion von Holzfiguren, denn das ging schneller und damit auch billiger als das rein manuelle Schnitzen. Zehntausende hölzerne Reifentiere reisten zur Blütezeit dieser einmaligen Handwerkskunst Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts in alle Welt.
Heutzutage gibt es zwar nur noch vereinzelte Handwerker, die sich beruflich mit der Reifendreherei beschäftigen, dennoch wird es als fester Bestandteil Erzgebirgischer Volkskunst gewürdigt und gepflegt. Im ‚Erzgebirgischen Spielzeugmuseums Seiffen‘ ist ein Teil der Ausstellung speziell dem Reifendreher-Handwerk gewidmet. In der dortigen Schauwerkstatt und in einigen weiteren in der Region kann man mit eigenen Augen dem Entstehen von Reifenfiguren zusehen.
Demonstration des Reifendrehens
im Freilichtmuseum Seiffen
Berufsbezeichnungen
verwandte Berufe: Drechsler, Holzschnitzer, Spielzeugmacher
Arbeit & Historie der Reifendreher
.Ausbildung in der Seiffener Spielzeug-Fachschule im Jahr 1929 [BArch]
Das Gebot der Geheimhaltung
Das Drehen von Reifen ist auf der Welt n u r im Seiffener Spielzeugwarengebiet zu Hause; das jedenfalls behaupten die Seiffener. […] Nur die Reifendreher und Reifentierhersteller hatten das Wissen, um diese Art der Fertigung der Holzfiguren. […] Sorgsam achteten sie einst darauf, daß diese Kunstform des Drechselns ihr Geheimnis blieb.
Dennoch gelang es 1922 dem japanischen Kunstgewerbeprofessor Kogure, zwei Reifendreherwerkstätten zu besichtigen und für 50 Reichsmark sogar einen Reifen zu erwerben. Diesen Reifen nach Tokio zu tragen, war dem Japaner allerdings nicht vergönnt. Kaum wieder auf der Straße, mußter er den Reifen dem mißtrauisch gewordenen Meister Enzmann zurückgeben. Das Geheimnis blieb somit weiterhin bewahrt.
Im Bericht der Landes-Kriminalpolizei Dresden heißt es hierzu, daß der Herr aus Tokio ‚in seiner Art und Weise die verschiedensten Spielwarenbetriebe besucht
hat, die keinen Zweifel läßt, daß Herr Kogure in dem dortigen Bezirk lediglich zu dem Zwecke aufgehalten hat, um Wirtschaftsspionage zu betreiben‘.
Seit diesem Vorfall befanden sich an den Türen der Reifendreherwerkstätten Schilder mit der Aufschrift ‚ZUTRITT für Fremde VERBOTEN‘. Die Innung hatte das Anbringen veranlaßt und zum Statut den Nachtrag beschlossen: ‚Innungsmitglieder dürfen das Reifendrehen nicht öffentlich vorführen.‘ […]
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Die Reifendreherei
In der Drehstube fliegen die Späne, wenn der Reifendreher die Drehstähle gegen das rotierende Holz preßt. Der aus einer Holzscheibe entstehende Reifen mit Vertiefungen und Erhöhungen läßt nichts von dem erkennen, was die Phantasie des Reifendrehers erdacht hat. Erst wenn er den Reifen mit Hammer und Messer spaltet, [läßt sich] das Profil des Tieres im Querformat erkennen. Die Einzelteile – wie Ohren und Schwanz – werden in gesonderten Reifen gedreht und an die fertig geschnitzten Tierkörper angeleimt. […]
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Im Teich hinter dem Drehwerk, als Resservoir für den Wasserradantrieb angelegt, schwimmen Holzstämme. Im Gegensatz zu fast allen anderen holzverarbeitenden Berufen muß das Holz für das Reifendrehen naß sein. Fichtenholz […] eignet sich zum Reifendrehen besonders, da die Fichte in der Regel ein weiches, gut spaltbares Holz liefert. […]
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Muskelkraft reichte nicht, um die schweren und wuchtigen Reifendrehbänke zu betätigen. Die Seiffener nutzten deshalb die Kraft ihres Dorfbaches. Etwa 20 Drehwerke standen im vorigen Jahrhundert im Tal des Seiffenbaches. Wer Reifen drehen wollte, konnte sich in einem dieser Wasserkraft-Drehwerke für Stunden, Tage oder Wochen eine Drehstelle mieten. Ab 1886 gab es dann noch ein Dampfkraft-Drehwerk mit 150 Drehtstellen. Nachdem Seiffen 1912 an das Stromnetz angeschlossen wurde, waren Dampf- und Wasserkraft nicht mehr gefragt. […]
[Bernd Wurlitzer: Historische Werkstätten, Verlag Die Wirtschaft Berlin, 1989]
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Werkzeuge & Utensilien
- Reifendrehbank
- Meissel
- Hammer
- Bildhauereisen
- Schnitzmesser (sog. Schnitzer)
- Leim
- Farben und Pinsel
Video
mit Christian Werner – einer der letzten acht noch aktiven Reifendreher im Erzgebirg’schen Seiffen