Der Seiler

Die Arbeit der Seiler ist es, Seile, Peitschen und Tragbänder herzustellen. Dazu benötigt er eine Seiler- oder Reeperbahn zum Aufspannen der Fäden.

sw-Foto: Der Seiler spinnt zuerst das Vorgarn für seinen Bindfaden.
1938

„Sehr viele Dinge müssen theils an sich und für sich selbst, theils zu anderen Zwecken gebunden, festgehalten und fortgeschafft werden, was vorzugsweise nur durch Mittel geschehen kann, welche zwei sonst entgegengesetzte Eigenschaften vereinigen, nämlich Biegsamkeit und doch zugleich wieder eine solche Festigkeit, daß sie nicht ohne die äußerste Gewaltsamkeit auseinandergerissen werden können. Diese Mittel sind die Seile, die Stricke, Stränge, Taue, Schnüre, Bindfaden, u.s.w., und das nützliche Handwerk, das sie hervorzubringen hat, ist das Seilerhandwerk. Um nun sie hervorbringen zu können, hat die gütige und weise Natur Pflanzen wachsen lassen, deren Fasern ganz die dazu nöthigen Eigenschaften haben, nämlich Biegsamkeit und Festigkeit, unter welcher Pflanzen der Hanf der beste und vorzüglichste ist. Indessen sind diese Eigenschaften des Hanfs nicht sehr in die Augen fallend, und es wird wohl eine lange Zeit vergangen sein, bis die Menschen es gelernt haben, die Fasern desselben von den fremdartigen Theilen, Rinde und Gummi, zu trennen. Die ersten Seile und Stricke werden also wohl aus Weidenruthen, Binsen und Schilf und ledernen Riemen gefertigt worden sein. So ist uns auch unbekannt geblieben, ob die alten Ägypter Hanf gebaut haben; doch brachte das fruchtbare Nilthal desto mehr Flachs hervor, und diesen haben sie auch zu ihren Seilarbeiten verwendet.

Wie der Hanf gleich dem Lein zuerst im Wasser oder in feuchter Luft geröstet oder gerottet, dann unter schweren Hämmern gepockt oder auf der Bracke gebrochen, ferner wie er auf dem Schwungstock mit dem Schwungmesser geschwungen und endlich auf der metallzahnigen Hechel gehechelt wird, alles dies ist aus dem Dunkel des Mittelalters als erbe mit in die Neuzeit heraufgekommen. Doch hat man in die ganze Reihe dieser Behandlungsart viele Verbesserungen einzuführen gesucht und manche nicht ohne glücklichen Erfolg. Von den Versuchen, ein besseres, weniger zeitraubendes Röstverfahren einzuführen, ist die Hanf-Raffinitmaschine des Christian von Paris am beliebtesten und bekanntesten geworden; statt der Handbracke hat man Bockemühlen eingerichtet, die vom Wasser getrieben werden. Bessere Hecheln haben Otto in Gotha, dann der Engländer Porthouse, der Franzose Fournier und Legrad aus Wien erfunden und große Aufmerksamkeit auf sich gezogen, doch ohne zu allgemeinem Gebrauche gelangen zu können. Glücklicher waren die Versuche, noch andere Pflanzen außer dem Hanf zu Schnüren und Seilen anzuwenden, wie z.B. Nesseln, die jungen Zweige der Maulbeerbäume, Hopfenranken, Agave Americana, der Pilang, viele Palmen, dann besonders der Ostindische Aloe- und Manillahanf und der neuseeländische Flachs, welcher letztere besonders für die Ausrüstung der Schiff von der größten Wichtigkeit ist, da er weit dauerhaftere und wohlfeilere Taue als Hanf giebt.“


(Quelle: C. G. Rehlen: Geschichte der Gewerbe, 1855)

Seil, Tau

Berufsbezeichnungen

Seiler, Seilerin, Gordeler, Kabeldreher, Kabelschläger, Kurdelmacher, Reeper, Reepschläger, Reifer, Reifschläger, Schnürmacher, Seilmacher

Seiler in anderen Sprachen

Afrikaans:toer
Albanisch:litar
Bulgarisch:въже
Dänisch:roper
Englisch:ropery, cordmaker
Esperanto:ŝnuro
Finnisch:roperi
Französisch:cordier
Griechisch:σχοινί
Indonesisch:tukang pembuat tali
Isländisch:roper
Italienisch:cordaio
Japanisch:ローパー
Kirgisisch:аркан
Koreanisch:로퍼
Korsisch:corda
Kroatisch:užar
Lao:ເຊືອກ
Litauisch:roperis
Luganda:omuguwa omuguwa
Maltesisch:ħabel
Mazedonisch:јаже
Mongolisch:олс
Nepalesisch:डोरी
Niederländisch:Zeilmaker
Norwegisch:roper
Portugiesisch:laçador
Rumänisch:frânghie
Russisch:веревщик
Sanskrit:रोपरः
Schwedisch:roper
Singhalesisch:කඹය
Slowakisch:povraz
Somali:xadhig
Spanisch:cordelero, soguero
Suaheli:kamba
Tadschikischресмон
Tamil:கயிறு
Telugu:రోపర్
Thailändisch:โรเปอร์
Tingrinja:ሮፐር ዝበሃል እዩ።
Tschechisch:provazník
Türkisch:halatçı
Ukrainisch:мотузка
Ungarisch:kötélverő
Urdu:رسی
Usbekisch:arqon
Walisisch:rhaffwr
Xhosa:umphanga
Zulu:umqhathi

Berufsfamilie:  Handwerk
Spezialisierungen:  Großseiler, Kleinseiler
(nochmal unterteilt in Stock- und Spitzarbeiter),
Reeper (Reepschläger) stellt schwere Seile für die Schiffahrt her
verwandte Berufe:  Spinnerin, Kabeldreher

sw-Illu: gerolltes Seil
kolorierte Zeichnung: Mann zieht ein Seil
1840 – [Arnz]

„Reepschläger sind seit 1261 in Bremen, 1265 Hamburg und 1282 Stralsund belegt. Sie haben in Küstennähe schwere Seile für die Schiffahrt angefertigt, ähnlich der Tätigkeit des Kabeldrehers. Die Wanderpflicht für die Gesellen wurde im 18. Jahrhundert abgeschafft, beispielsweise 1738 in Bremen. Seiler werden 1150 in Köln erwähnt, Zünfte entstanden 1426 in München und 1514 in Leipzig. Ihre Produkte finden sich als dünnes Seilwerk in der Fischerei, im Bauhandwerk und in der Landwirtschaft. Bis zum Spätmittelalter finden wir auch Bauern, die im Nebenerwerb das Handwerk des Seilers betrieben. Seile wurden aus Flachs oder Hanf gefertigt. Das Rohmaterial wurde auf dem Schwingbock behandelt, und anschließend erst durch grobe, dann immer feinere Hecheln gezogen. Dabei entstanden langfaseriger Kernhanf und mittellanger Hanf, der auf dem Seilerrad versponnen wurde. Das erfolgte beim Rückwärtsgehen des Seilers aus der Werkstatt, wobei die Reeperbahnen bis zu 300 Meter lang waren. Seilerbahnen fielen mit etwa 50 Meter Länge deutlich kürzer aus. Eine Schnur besteht aus mindestens 2 Fäden, ein Seil aus mindestens 2 Schnüren, ein Tau aus 4 Schnüren mit je 16 bis 50 Fäden. Kurze Seile bis 2 Meter Länge wurden als Stricke bezeichnet.Nach 1860 wurde das Seilerrad durch die Spinnmaschine abgelöst. Produkte aus Hanf wurden durch Ketten und Drahtseile ersetzt, und den Seilern blieb nur noch die Herstellung kurzer Längen, da deren maschinelle Herstellung unrentabel war.“

sw-Illu: gerolltes Seil
sw-Stich: Seiler drehen Seil, dazu Sinnspruch

„Der Fang sey schlecht,
Das Werck nur recht.
Der fromen Wandel scheint nichts werth,
in Augen, die ihn nicht verstehen,
doch so kan man zum Himmel gehen,
Wann man der Welt den Rücken kehrt,
und seine Augen fleissig wendet,
dahin wo unser Werck sich wendet.“
1730 [Weigel]

sw-Illu: gerolltes Seil

Materialien der Seiler

Hanf, Lindenbast, Tierhaar, Werg, Agave, Binsen, Flachs, Lein, Nesseln, Palme, Sisal, Kokosnussfasern, Lindenfasern, Hobelspäne, Pferdehaare, Kuhhaare

Seil

Werkzeuge und Maschinen

Die Seiler bei ihrer Berufsausübung. Drumherum die Werkzeuge und Gerätschaften der Seiler.
~1844 – [Schreiber]

Hauhechel, Seilerrad, Schwingblock (wie Breche),
Seilergeschirr (Stranggeschirr): besteht aus einer großen Winde und mit ihr werden stärkere Seile und Leine gezwirnt und zusammen gedreht

Seilerbahn (Reiserbahn, Reperbahn): Platz auf dem die Seiler die Seile verfertigen


Arbeitsschritte des Seilers


Produkte des Seilmachers

Seil

Netze, Fischernetze,
Spritzenschläuche, Glockenzüge, Grubenseile, Brunnenseil
Schieß- und Jagdtaschen aus Flecht- und Netzwerk, Zaumstricke, Strangfaden,
Pferdegurte, Schiffstaue (werden vierschlägig gemacht), Bindfaden,
Packstricke, Kordeln, Gurte, Waschleinen, Zeltleinen, Uhrleinen, Zugseile

altes sw-Foto: Seilrollen u.ä.
1921

sw-Zeichnung: Blick in eine Seilerei und Hanfpflanzen
1858, GB

Ausbildung zum Seiler

Der Lehrling lernet dieses Gewerbe, wenn er ein Lehrgeld giebt, in drei Jahren, wenn er sich aber loslernt in fünf Jahren; jetzt aber in Preußen bei der eingeführten Gewerbefreiheit nur in vier Jahren. Sie machen den Anfang mit dem Drehen des Rades und dem Spinnen. Die Gesellen müssen wandern. […] Zum Meisterstück, um Meister zu werden oder sich selbst zu besetzen, wird von ihnen verlangt ein Bäckertau, womit diese die Mehlsäcke in die Höhe winden, welches 24 Pfund wiegen muß; ein Klobenseil des Zimmermanns, welches bei Stockwerken gebraucht werden kann, und 80 Pfund wiegt, und 40 Klafter lang seyn muß, wenn es beim Seilen aufgezogen wird, wovon sich aber 20 Klafter eindrehen; ein Theerthau, welches beim Aufziehen der Fäden 18 Klafter lang seyn muß, nach dem Seilen aber nur 12 Klafter lang bleibt; und zuletzt einen feinen Gurt, der im Aufzuge 60 Fäden enthält, und 4 Pfund schwer seyn muß.
(aus: Johann Georg Krünitz: Oeconomisch technologische Encyclopädie. 1830)

Ansichtskarte: Frau bearbeitet Hanf oder Flachs, Mann steht an Seilbahn

1926

Beim Seiler.
Die Reepe oder Reepschlägerei, die Arbeitsstätte des Seilers, liegt gewöhnlich am Rande des Dorfes, da er viel Platz nötig hat. Da liegt zunächst die erforderliche freie Bahn, die Seiler- oder Reepbahn. Sie ist gegen Wind und Regen geschützt und wohl 30 Meter lang, aber kaum 1 Meter breit. Die Seilerwaren bestehen in Bindfäden, Schnüren, Seilen, Stricken und Tauen. Der Hanf eignet sich durch die große Länge und Festigkeit seiner Fasern vorzüglich für diesen Zweck. Flachs kommt bei feinen Bindfäden und Gurten zur Verwendung. Auch Pferde- und Kuhhaare, Linden- und Kokonußfasern, Strohhalme und Hobelspäne verarbeitet der Seiler zuweilen.
Um seine Erzeugnisse herzustellen, muß er zweierlei Arbeiten ausführen; er muß spinnen und zwirnen. Hierzu hat er zwei Gestelle zur Aufnahme der Spindeln und eins zum Halten eines Rades nötig. Vor Beginn der Arbeit bindet sich der Spinner den Flachs um seinen Lein, damit dieser nicht durcheinander kommt und sich leicht abwickelt. Nun beginnt das Spinnen. Der Seiler zieht einen gehörigen Faserbüschel aus seinem Vorrat heraus, hängt diesen mittels einer Oese in einen der Haken des Rades und schreitet darauf langsam und sorgfältig rückwärts, wobei sich neue Fasern zum weiteren Verbrauch herausziehen. Mit beiden Händen ist er unabläsig beschäftigt; denn während die linke Hand den Spinnfaden verfolgt, hält die rechte Hand den Spinnlappen, den gesponnenen Faden damit zu glätten. Zu gleicher Zeit geschieht das Drehen oder Zwirnen der Fäden. Es wird mit dem Seilerrade ausgeführt. Das Rad ist in ein festes Gestell eingebaut und kann von einer Hilfskraft durch eine Kurbel oder durch eine um Rollen geschlungene Schnur von dem Spinner in Bewegung versetzt werden. Die zum Seilen nötigen Spindeln sind am oberen Teile der Ständer drehbar befestigt. Es sind ihrer meistens vier, welche Häkchen zur Aufnahme der Fäden haben. Sie werden durch eine Schnur ohne End oder durch Zahnräder und dergleichen in Umlauf gebracht.
Der gewöhnliche Bindfaden besteht aus zwei rechtsgedrehten Hanffäden, die links zusammengezwirnt und daher „zweischäftig“ genannt werden. Seile sind meist „vierschäftig“, d.h. sie bestehen aus vier Litzen, die in ihrer Mitte ein gerades dünnes Seil, eine Seele, bergen.
Verschiedene Methoden zur Herstellung der Seilerwaren gibt es.
Das Seilerhandwerk ist alt und bestand schon zur Zeit Josuas im heiligen Lande; denn im 2. Kapitel des Buches Josua wird von einem Rettungsseil erzählt, und dies setzt einen Seiler voraus. Als Schutzpatron der Seiler galt der heilige Paulus, weil er „umkehrte“, wie alle Seiler es tun.
Die deutsche Handseilerei, die früher vielerorts in Blüte stand, ist heute der fabrikmäßigen Seilerei fast ganz erlegen. Aus dem Kleingewerbe ist ein maschineller Großbetrieb geworden. […]
(Hrsg. Ernst Bock: Alte Berufe Niedersachsens. 1926 – Karl Scheibe)


1784

„Auch der Seiler bearbeitet gesponnenen Hanf, Werg und selbst an einigen Orten gesponnene Baumwolle. Seltener gebrauchen sie Haare und Bast. Diese Materien werden von ihnen sortirt, oder ausgelesen, gesponnen, und über das Rad, auf einem langen Plaz gezogen, so daß viele gesponnene Fäden in einen sich wickeln. Auf solche Weise werden Bindfaden, Seile, Stricke und Taue verfertiget. Aus den erstern macht man Neze für die Fischer und die Jäger, Mückengarn für die Pferde, und dergl. Die starken Taue aber werden bey den Schiffen, und überhaupts aller Arten von Seilen, vornehmlich zum binden gebraucht. Gurte von Bindfaden gewirkt, sind gleichfalls Arbeiten der Seiler, die gewissermaßen zu den Kleidungsstücken und Hausrath gehören.“
(aus: Hrsg. J.S.Stoy. Bilder-Akademie für die Jugend. Nürnberg 1784)


Reklame und Anzeigen der Seiler

sw-Illu: gerolltes Seil
kolorierte Zeichnung: Mann in Kostüm mit großer Fahne
1834 – [Carl Heideloffs]

Sprichwörter und Weisheiten über die Seiler

  • Wie der Seiler, so die Reeperbahn.
  • Man muss wie der Seiler, vor sich sehen und sich gehen.
  • Dem Seiler geräts am besten, wenns brav hinter sich geht.
  • Des Seilers Tochter darf niemand heiraten, sonst winken im Galgen und Henkerbeil.
  • Der Seiler zieht seine Sache in die Länge und wird doch zur rechten Zeit fertig.
englischer Text mit Illustration
1836, USA

Fabel

Der Kriegsgott Mars hieb einst einem frommen und unschuldigen Menschen den Kopf ab. Dies missfiel dem Gott Jupiter, der dem Vulkan, dem Gott des Feuers, befahl, den Kopf wieder anzusetzen. Es geschah. Doch aus Unachtsamkeit wurde er verkehrt aufgesetzt. „Was wird arme Tropf nun anfangen?“ klagte Jupiter dem Vulkanus gegenüber. Dieser antwortete: „Mein lieber Jupiter, ich habe zwar einen Fehler gemacht, aber die Sache ist nicht so verzweifelt; denn dieser Mensch kann ab jetzt einen Seiler abgeben, weil diese Leute sowieso immer rückwärts gehen müssen.“