Treidler wurden früher – also, bevor es die Dampfkraft gab – benötigt, um Lasten
(in der Regel) stromaufwärts durch Flüsse oder Kanäle zu ziehen.
Das Treideln – südlicher auch ‚Trecken‘ genannt – wurde schon vor hunderten von Jahren praktiziert; am Rhein ist es bspw. seit dem 8. Jahrhundert belegt.
Kähne, Binnenschiffe und, wo nötig, auch Flöße wurde von Land, genauer gesagt vom Treidelpfad aus mit einer Treidelleine gegen die Strömung zum nächsten Zielort gezogen.
Getreidelt wurde aber nicht nur dort, wo gegen die Strömung angekämpft werden musste, sondern auch, wo die Strömung zu schwach war oder wenn ein mit Segeln ausgestattetes Boot die Kraft des Windes nicht nutzen konnte.
Wer er sich leisten konnte, nutzte Arbeitstiere – meist Pferde, seltener Esel oder Ochsen – zum Treideln. Ansonsten mussten die Menschen selber als Treidelknechte ran und erhielten für diese äußerst anstrengende und oft auch gefahrvolle Arbeit nur einen kärglichen Lohn. Die Höhe der Entlohnung richtete sich auch danach, ob die Last bergan oder talab gezogen werden musste, wie schwer die Ladung und wie stark die Strömung war und ob, bzw. wie viele Schleusen oder sonstige Hindernisse es zu überwinden galt.
Bei starker Strömung oder nur wenigen zur Verfügung stehenden Treidlern kam man nur sehr langsam voran,
so dass der Volksmund aus treideln ‚ t r ö d e l n ‚ machte.
Berufsbezeichnungen
Treidler, Kahntreidler, Kahnzieher, Floßtreidler, Floßzieher, Schiffsreiter, Schiffstreidler, Schiffszieher
– (sächs.) Bomätscher oder Pomätscher, (schweiz.) Recker
– (veraltet) Leinläufer, Leinreiter, Leinzieher, Dreyler, Treyler, Treidelknecht
in anderen Sprachen
Bulgarisch: | треидлер |
Dänisch: | pramdrager |
Englisch: | tower, hauler |
Französisch: | haleur |
Italienisch: | trasportatore di chiatta |
Lateinisch: | helciarius |
Niederländisch: | scheepssleper |
Norwegisch: | pramdrager |
Polnisch: | burłak |
Portugiesisch: | burlák |
Rumänisch: | edecar |
Russisch: | бурлак |
Schwedisch: | pråmdragare |
Serbisch: | треидлер |
Slowakisch: | burlak |
Slowenisch: | burlak |
Spanisch: | sirgador |
Tschechisch: | burlak |
Ungarisch: | hajóvontató |
verwandte Berufe: Staker, Wrigger, Warper
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Treideln mit Zugtieren
Die Arbeitsbedingungen der Zugtier-Treidelei waren für Tier und Mensch überaus hart und mühevoll
und weit weniger beschaulich, als alten Stiche und Gemälde ob ihrer idyllischen Darstellungen suggerieren.
Bis zu 20 Pferde waren nötig, um einen schweren Transportkahn zu bewegen; bei kleineren Booten genügte meistens ein einziges Zugtier.
Manche Schiffer nahmen Treidelpferde mit an Bord, bevor sie die Reise stromaufwärts antraten. Ansonsten wurden Tiere der anliegenden Gehöfte, die gerade nicht zur Landwirtschaft benötigt wurden, für diese Arbeit angemietet. Folglich musste man auch die Zeit einrechnen, um geeignetes Vieh zum Schiffsziehen vor Ort zu organisieren. Den Bauern, die ihre Zugpferde – in der Regel ausdauernde Kaltblüter – gern zur Verfügung stellten, bescherte die Treidelschifffahrt einen lukrativen Zugewinn.
Bei längeren Strecken mussten ausreichende Ruhepausen für die Zugtiere eingehalten werden, was zusätzlichen Zeitaufwand und weitere Kosten für die Unterbringung der Tiere und Treidler verursachte.
Besser hatten es diejenigen, die eine Relaisstation nutzen konnten. Dort warteten Leinenreiter mit ausgeruhten Tieren auf den nächsten Arbeitseinsatz, was wertvolle Zeit ersparte. Man fand diese Stationen allerdings nur an großen, viel genutzten Wasserstraßen, bei denen mit großen Stallungen aufzuwarten lohnte .
Die Leinreiter (auch Schiffsreiter genannt) zogen die Seile von Pferden aus. Dafür saß der Reiter häufig einseitig auf dem Pferd, um im Notfall schnell abspringen zu können.
Leinreiter führten – wie alle Treidler – auch immer ein Beil oder Messer bei sich, um bei größerer Gefahr die Treidelseile kappen zu können.
Treideln mit bloßer Menschenkraft
Viele Bewohner der Elbstädte erinnern sich gewiß noch mit leisem Schauder an die früheren Zustände der Elbschifffahrt, an jene gar nicht so fernen Zeiten, in denen ein merkwürdiges Menschengeschlecht an den Elbufern hauste, eine aus Tausenden von Personen bestehende Gesellschaft, welche sich der Aufgabe widmete, diejenigen Schiffe, welche stromaufwärts fahren mußten und in der gewaltigen Strömung weder durch Rudern noch durch Segeln vorwärts gebracht werden konnten, durch das sogenannte „Treideln“ stromaufwärts zu ziehen.
Diese Menschenclasse führte den Namen: „Die Bomätscher“. Schaarenweise spannten sie sich an die lange Leine, welche von einem derartigen Schiffe bis zum „Treidelsteg“ am Ufer reichte, und zogen das Fahrzeug, langsam im Tacte dahinschreitend, vorwärts. Wenn das Hochwasser des Frühjahrs den Beginn der Schifffahrt anzeigte und die aufgestaute gelbliche Fluth gegen das Schiff anstürmend in zahllosen Wirbeln mit Eilgeschwindigkeit vorüber tanzte, dann waren die „Bomätscher“ am thätigsten.
Unsere Illustration führt sie uns vor, wie sie, mit gewaltiger Kraft sich in die Gurte legend, den Kampf gegen das unbändige Element aufnehmen und in trotziger Energie vorwärts dringen. Wenn aber im Laufe der Sommermonate die Elbe um mehrere Fuß fiel, dann sahen sich die verwegenen Gesellen eines Theiles ihrer Einnahme beraubt, und in solchen Fällen kam es ihnen auf ein bisschen Wegelagern nicht an.
Nun sind sie längst dahin geschwunden, diese Leute, und nur ein Andenken von ihnen ist der Nachwelt geblieben:
der eigenthümlich originelle Gesang, welchen sie beim Ziehen der Schiffe erhoben […]
[aus ‚Die Kettenschifffahrt auf der Elbe‘ von August Voldt – Die Gartenlaube, 1882]
Treidelgesänge
„Eine sehr altertümliche Gruppe bilden die Gesänger der Schiffzieher, welche an den meisten sichtbaren Flüssen, wo die Aufwärtsbewegung der Fahrzeuge mittels Menschenkraft erfolgte (Treideln), gebräuchlich waren, sich aber manchmal auch da finden, wo man sich der Leinpferde zu diesem Zwecke bediente. Die primitivste Form stellt folgende Notenskizze des Gesangs der sog. Boomätscher an der oberen Elbe dar, wie er noch vor einem Menschenalter in Dresden gehört werden konnte.
Der Berichterstatter bemerkt dazu: ‚Dieser Gesang ist eigentlich als solcher nicht zu bezeichnen. Er bestand nur aus dem immerfort wiederholten: hibei, hobei! Auf die Silben hi und ho wurde besonderer Nachdruck gelegt, hierbei jedesmal der rechte Fuß vorgesetzt und der Stock (eine Art Bergstock) eingestemmt, wodurch das Nachziehen des linken Fußes, bzw. das Fortschreiten unterstützt wurde.‘
Nicht minder eintönig ist der Gesang der Bootszieher in China, den G. Kreitner am Han-Flusse aufgezeichnet hat. Ihrer acht schleppten mittels eines aus Bambusast geflochtenen Strickes mühsam das Boot bei heftigem Nordwind. ‚Es schien fast eine Arbeit der Verzweiflung zu sein, die sie da verrichteten. Mit so stark vorgebeugtem Oberkörper, daß die Brust nahezu den Boden berührte, kämpften sie gegen die Gewalt des Sturmes, welche das Schiff flußabwärts drängte. Die Füße der Schiffer gruben sich in den weichen Boden ein, und die starke Brust keuchte krampfhaft unter dem Druck des umgewundenen Seiles, welches sich tief in das Fleisch einschnitt. Jetzt erreichten sie einen am Ufer eingetriebenen Baumstamm, woran sie das Seil befestigten. Nach einigen Minuter sauer verdienter Rast beginnt die Arbeit von Neuem. Sie singen einen Schiffergesang. In dumpfer, matt und matter werdender Vibration dringen die abgerissenen Töne zu uns.‘
(aus: „Arbeit und Rhythmus“ von Karl Bücher, 1909)
Das Bomätscherlied
Bomätscherlied
Heia hebei, hebei heia!
Schifflein fahre sanft und wahre uns vor nassem, kühlem Bad!
Heia hebei, hebei heia!
Schifflein schwimme, unsre Stimme soll die Marschtrompete sein!
Das Bomätscherlied erklang in langgezogenen Tönen – der vorausgehende ‚König‘ gab für ihren rhythmischen Gesang den Ton an. Aus dem Lied geht auch hervor, wie lebensgefährlich das Schiffsziehen mitunter war. Oft trieben starke Strömungen das Schiff rückwärts oder seitwärts zur Flussmitte; so dass es auch so manchen Bomätscher mit sich in den Fluß zog.
Burlakenlied
[Mili Alexejewitsch Balakirew]
Эй, ухнем! Эй, ухнем!
Ещё разик, ещё да раз!
Эй, ухнем! Эй, ухнем!
Ещё разик, ещё да раз!
Разовьём мы берёзу,
Разовьём мы кудряву!
Ай-да, да ай-да! Ай-да, да ай-да!
Разовьём мы кудряву.
Мы по бережку идём,
Песню солнышку поём.
Ай-да, да ай-да! Aй-да, да ай-да!
Песню солнышку поём.
Эй, эй, тяни канат сильней!
Песню солнышку поём.
Эй, ухнем! Эй, ухнем!
Ещё разик, ещё да раз!
Эх ты, Волга, мать-река,
Широка и глубока,
Ай-да, да ай-да! Ай-да, да ай-да!
Волга, Волга, мать-река
Эй, ухнем! Эй, ухнем!
Ещё разик, ещё да раз!
Эй, ухнем! Эй, ухнем!
Eij, hau ruck! Eij, hau ruck!
Noch ein bisschen, noch einmal!
Eij, hau ruck! Eij, hau ruck!
Noch ein bisschen, noch einmal!
Lasst uns den Birkenknüppel biegen,
Den Knüppel der lockigen Birke biegen!
Aij-da, da aij-da! Aij-da, da aij-da!
Den Knüppel der lockigen Birke biegen!
Wir gehen am Ufer entlang.
Wir singen der Sonne unser Lied.
Aij-da, da aij-da! Aij-da, da aij-da!
Wir singen der Sonne unser Lied.
Eij, Eij, zieh das Seil fester!
Wir singen der Sonne unser Lied.
Eij, hau ruck! Eij, hau ruck!
Noch ein bisschen, noch einmal!
Ach du, Wolga, Mutterstrom,
tief und breit.
Aij-da, da aij-da! Aij-da, da aij-da!
Wolga, Wolga, Mutterstrom.
Eij, hau ruck! Eij, hau ruck!
Noch ein bisschen, noch einmal!
Eij, hau ruck! Eij, hau ruck!
Mechanisches Treideln
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann man den Treideleinsatz von Menschen und Tieren nach und nach durch mechanische Antriebe zu ersetzen.
In Frankreich erprobte man nach Versuchen mit Zug-Automobilen zum Treideln von 1896 bis 1904 elektrisch betriebene dreirädrige Zugmaschinen – genannt ‚Cheval électrique‘ (elektrisches Pferd). Ihr Erfinder, Michel Gaillot, ließ 1895 am Canal de Bourgogne eine 4 km lange Versuchsstrecke errichten. Im Jahr 1900 waren in Frankreich bereits 120 dieser Zugmaschinen im Einsatz. Die 2,8 t schweren Maschinen wurden über Oberleitungen mit Gleichstrom von 300 V versorgt und zogen die Schiffe mit einer Geschwindigkeit von 2-3 km/h.
In Deutschland wurde am Ende des 19. Jahrhunderts am Finokanal eine erste elektrisch betriebene Treidellok (eine Entwicklung von Carl Köttgen) getestet …
und im Jahr 1903 erhielt die Treidelbahn am im Bau befindlichen Teltowkanal von Siemens eine erste Treidellok.
Aufkommen und Zunahme von Schiffen mit eigenem Antrieb bei gleichzeitigem Rückgang der Frachtschifffahrt führte schließlich zum Ende des mechanischen Treidelns. Die letzten Treidelabschnitte in Frankreich wurden am 1. Oktober 1970 stillgelegt.
Wie das Treideln vor sich ging
Das Zugseil (die Treidelleine) wird in der Regel vom Schiffer vorgehalten und gewöhnlich über eine Rolle geführt, die sich an dem Treidelmast (Ziehbaum) befindet und am Hinterschiff, nahe dem Steuerruder, festgelegt ist. so daß es von dem Schiffer leicht verlängert oder verkürzt werden kann. Auf Kanälen beträgt die freie Länge des Seils meistens 70 bis 80 m. Infolge des schrägen Zugs würde das getreidelte Schiff auf das Ufer laufen, wenn nicht das nach der anderen Seite gelegte Steuerruder dem entgegenwirken würde. Dadurch wird zwar der Zugwiderstand vermehrt; da sich dabei das Schiff aber in fester Lage zur Fahrtrichtung bei geringer Aufmerksamkeit sehr leicht steuern läßt, ohne ins Gieren zu kommen, sind die Verluste an Zugkraft jedoch gering.
Beim Treideln gegen starke Strömung ist allerdings große Vorsicht bei der Lenkung nötig, damit das Schiff sich nicht zu weit von dem Leinpfad abdreht; es kann sonst vorkommen, daß das Schiff seitlich von der Strömung getroffen wird und schnell so weit ausschert, daß es weder durch das Ruder noch durch die Kraft der Zugtiere wieder in Fahrtrichtung zurückgebracht werden kann.
Oskar Teubert ‚Die Binnenschiffahrt – ein Handbuch für alle Beteiligten‘ – 1916
Treidelvorschriften Anfang des 20.Jh.
Treidelvorschriften & Bestimmungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts
Für die Fortbewegung durch Treidelei scheinen folgende allgemeine Vorschriften nötig, die jetzt bereits auf den meisten Wasserstraßen gelten:
An den Strömen ist das Treideln auf solchen Uferstrecken verboten, die nach Anordnung der Wasserpolizeibehörde der Benutzung als Leinpfad entzogen sind (§27 des Pr. Wassergesetzes). Es genügt, wenn solche Strecken, z.B. innerhalb einzelner Städte, durch besondere Bekanntmachungen oder Tafeln bezeichnet sind. Erwünscht ist eine Vorschrift, daß Schiffe mit mehr als 100t Ladung nicht durch Menschen getreidelt werden dürfen. Ein ähnliches Verbot besteht für die elsaß-lothringischen Kanäle. Auf den nördlichen und östlichen französischen Wasserstraßen ist das Treideln beladener Schiffe durch Menschen überhaupt verboten.
Allgemein gilt, daß mit Zugtieren nur dort getreidelt werden darf, wo die Leinpfade dazu eingerichtet sind. Ob zwei oder mehr Zugtiere nebeneinander gespannt werden dürfen, ist durch Sondervorschriften zu bestimmen. Wenn an beiden Ufern einer Wasserstraße Leinpfade von gleicher Einrichtung bestehen, müssen die Schiffer den auf der Steuerbordseite liegenden benutzen. Die Zugleinen sind so hoch zu befestigen, daß die Kanten der Leinpfade und die Böschungen nicht gestreift werden. Auch dürfen die Schiffe nicht am Ufer schleifen, sollten vielmehr mindestens 3 m vom Wasserrande entfernt bleiben. Schiffe mit mehr als 150 t Ladung müssen auch in Kanälen von mindestens zwei Zugtieren gezogen werden. Der Führer sollte nicht unter 16 Jahre alt sein und entweder reiten oder neben dem Kopfe des ersten Zugtieres gehend, dies an einer Trense halten. Die Sielengeschirre müssen mit Federn zum Schutz gegen Stöße versehen sein und Ortscheite tragen. Die Zugtiere sollten für den Dienst geeignet, gesund, von erheblichen Fehlern frei und in gutem Futterzustande sein. Über die Leinpfadbrücken sollten sie mit loser Leine gehen. Wo ein öffentlich festgesetzter Treideltarif besteht, darf er nicht überschritten werden. […]
Oskar Teubert ‚Die Binnenschiffahrt – ein Handbuch für alle Beteiligten‘ – 1916
Begriffe ums Treideln
- Teidelweg (Leinweg, Bomätschersteg)
- Treil (Treidel, Treidelleine, Zug- oder Schleppseil)
- Wandertau (Seil ohne Ende)
- Ziehbaum (Treidelmast)
Buchempfehlungen
John Hersey ‚Le haleur de tête‘
– Édition Stock, 1957 (frz.)
Frédéric de Grave ‚Répine et les Haleurs de la Volga‘
– Éditions Mélibée, 2014 (frz.)
Georges Simenon
‚Maigret und der Treidler der Providence‘
– Kampa Verlag, 2019
Viele heutige Wanderwege entlang von Flüsse und Kanälen waren übrigens ursprünglich zum Treideln angelegte Pfade.