Der Stenograf

sw Foto: 2 Stenografen bei einer Sitzung im Deutschen Reichstag - 1889

Ein  Stenograf  ist eine Person, welche die Kunst der Stenografie (kurz: Steno) beherrscht, was sie dazu befähigt,
so schnell schreiben zu können, wie ein Redner spricht, wie auch eigene Ideen schnell zu notieren.
Eine Aufzeichnung in Kurzschrift wird Stenogramm genannt.

Farbfoto: alter Stenogramm Block ~1960, DDR

Stenographie  (griech. ‚Tachygraphie‘ oder ‚Engschrift‘, engl. ‚Shorthand‘ oder ‚Schnellschrift‘, deutsch am treffendsten ‚Kurzschrift‘ genannt) – eine Schriftart, welche vermittelst eines einfachen, von den gewöhnlichen Buchstaben abweichenden Alphabets, ferner durch eigne Grundsätze über deren Zusammenfügung und meist auch durch Aufstellung besonderer Kürzungen zu ihrer Ausführung nur ein Viertel der sonst nötigen Zeit erfordert und dazu bestimmt ist, bei schreiblicher Thätigkeit als zeitersparendes Erleichterungsmittel verwandt zu werden.


[Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl. – 1892]

Berufsbezeichnungen

Stenograf und Stenografin   –   (veraltet)   Stenograph,   Tachygraph

in anderen Sprachen
Albanisch:stenograf
Bulgarisch:стенограф
Dänisch:stenograf
Englisch:stenographer
Esperanto:stenografisto
Finnisch:pikakirjoittaja
Französisch:sténographe
Griechisch:στενογράφος
Isländisch:hraðritari
Italienisch:stenografo
Lateinisch:verba currunt
Niederländisch:stenograaf
Norwegisch:stenograf
Polnisch:stenografista
Portugiesisch:estenógrafo
Rumänisch:stenograf
Russisch:стенографист
Schwedisch:stenograf
Slowakisch:těsnopisec
Slowenisch:stenograf
Spanisch:taquígrafo
Tschechisch:těsnopisec
Türkisch:stenograf
Ungarisch:gyorsíró

Spezialisierungen:    Kurzschriftlehrer,   Parlamentsstenograf
verwandte Berufe:   Schreiber,   Sekretärin,   Stenotypistin


Anfangs wurden Kurzschriften in der Regel nur von einer kleinen kurzschriftkundigen Elite genutzt. Dazu gehörten bspw. Kaiser Leopold II, zahlreiche Gelehrte sowie professionelle Kanzlisten und Schreiber im Dienste von Kirche, Politik, Wirtschaft und Verwaltung.
Viele Akademiker – wie Alfred Brehm, Edmund Husserl, Otto Lilienthal, Max Planck, Joseph Schumpeter, Dolf Sternberger, Rudolf Virchow, Konrad Zuse – nutzten die Stenografie als Arbeits- und Konzeptschrift und verfassten teilweise sehr umfangreiche Entwürfe, Vorlesungsskripte oder Forschungsberichte in Kurzschrift.

sw Foto: Sekretärin zwischen Schreibmaschine und Stenogramm - 1932, NL


Im 20. Jahrhundert war die Stenografie in der mitteleuropäischen Bevölkerung relativ weit verbreitet. Vor dem Aufkommen von Diktiergeräten und Computern gehörte das Beherrschen der sogenannten ‚Diktatschrift‘ v.a. auch zu den geforderten Fähigkeiten von Sekretärinnen, um Diktate für Anschreiben, Protokolle u.ä. in Kurzschrift aufzunehmen und hernach mittels Schreibmaschine ‚ins Reine‘ zu übertragen.


Heute wird Steno insbesondere als Notiz- und als Konzeptschrift für schnelle Aufzeichnungen in Besprechungen, Konferenzen, Verhandlungen, Seminaren, bei Vorträgen und Präsentationen oder für das Anfertigen von Entwürfen, Merkzetteln, Randbemerkungen, Telefonnotizen etc. verwendet.


Stenografen bei der Arbeit

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Stenografie

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Zur Geschicht der Stenografie

Wann entstand die Kurzschrift?

Seit der Mensch die Buchstaben eines Alphabets benutzt, versucht er, so schnell wie möglich zu schreiben, um mit der normalen Sprechgeschwindigkeit Schritt halten zu können.

Der erste Stenograph oder Schreiber, der Kurzschrift verwendete, war Tiro, der griechische Sekretär des berühmten alten römischen Redners Cicero. Der Name ‚Stenographie‘ taucht zuerst in England auf, wo 1588 Dr. Timothy Bright ein Buch über die Kurzschrift veröffentlichte. Später wurden viele Systeme entwickelt, in denen Buchstaben und Wörter durch kurze Zeichen ersetzt wurden.

Unter normalen Umständen spricht ein Mensch etwa 180 Silben in der Minute. Die meisten Stenographen können 120 Silben in der Minute gut schreiben, und die schnellsten unter ihnen schaffen 350 Silben, wobei sie das allerdings nur für ein paar Minuten durchhalten. Aus verschiedenen Systemen, die nach ihren Erfindern benannt sind, wie zum Beispiel Gabelsberger, ist in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die deutsche Einheitskurzschrift entwickelt worden.

Es gibt auch Kurzschriftmaschinen. Sie sehen wie Rechenmaschinen aus und werden über Tasten von Stenotypisten bedient.


[Auszug aus einem Jugendsachbuch von ca. 1975]
Zeitspuren

Den ersten Ansatz zu einer   S t e n o g r a p h i e   finden wir in Griechenland. Eine Marmorinschrift von etwa 350 v. Chr, welche vor wenigen Jahren auf der Akropolis von Athen ausgegraben ward und im dortigen Zentralmuseum aufgestellt ist, gibt Anweisungen einer gekürzten Schriftart, mit welcher allerdings nur die Hälfte der Zeit erspart wird.

Der frühsten Erwähnung einer griechischen S. begegnet man erst ums Jahr 164 n. Chr bei Galenos. Aus Zeugnissen späterer Schriftsteller geht hervor, daß die wörtliche Aufnahme einer griechischen Rede durch S. möglich war. Von der Beschaffenheit des dabei angewendeten Systems können wir uns keine rechte Vorstellung bilden, denn die Schriftproben, welche unter dem Namen griechische Tachygraphie gehen, repräsentieren nur eine ganz späte und entartete Gestalt, in der das System an Kürze sich wenig über die gewöhnliche griechische Schrift erhebt und nicht mehr S., sondern nur noch Geheimschrift ist. […]

Reichlicher fließen die Quellen über die altrömische S., deren Wesen und Geschichte vom Beginn bis zum Untergang sich verfolgen läßt. Nach ihrem Erfinder Tiro führt diese Kurzschrift den Namen ‚Tironische Noten‘.

Aus dem Mittelalter verdient nur hervorgehoben zu werden, daß ein Mönch, Johannes von Tilbury, den Versuch machte, durch eine ‚Nova notaria‘ die ‚Tironischen Noten‘ zu ersetzen. […]

Die Nation, bei welcher die Kurzschrift in neuer Zeit zuerst wieder erwachte, und von wo der zündende Funke fast in alle Länder Europas und über den Ozean übersprang, war die englische. Die frühsten Spuren stenographischer Systeme zeigen sich in England schon zu Ende des 16. Jahrh. in den Schriften von Bright und Bales. Der erste aber, der hier von Bedeutung ward, ist John Willis ‚The art of stenography, or short-writing‘ [London, 1602]. Von diesem Anfangspunkt an bis zur jüngsten Vergangenheit ist das stenographische Schrifttum Englands ein außerordentlich fruchtbares gewesen. […]

In Frankreich blieben die ersten von Cossard 1651 und dem Schotten Ramsay 1681 veröffentlichten Systeme ohne Erfolg. Erst einer von Bertin verfaßten Übertragung des Taylorschen Systems, die 1792 unter dem Titel ‚Système universel et complet de sténographie‘ erschien, gelang es, Anerkennung und praktische Verwendung zu finden. […] Hinsichtlich der allgemeinen Ausbreitung und Benutzung bei schriftlichen Arbeiten hat aber neuerdings die S. Duployé alle andern französischen Methoden weit überflügelt. […]

In Italien ist der erste nachweisbare Versuch, zu einer Kurzschrift zu gelangen, der von Molina 1797. Ihm folgte eine von Amanti 1809 bewirkte Übertragung des Taylorschen Systems, die mit einigen Modifikationen beim italienischen Parlament Verwendung findet, sonst aber hinter einer von Noe bewirkten Übertragung der deutschen Redezeichenkunst von Gabelsberger zurücktritt, welche bereits anfängt, in weitern Kreisen als Gebrauchsschrift sich Geltung zu verschaffen. […]

In Spanien war es Marti, der, auf englischen Grundlagen bauend, durch seine ‚Tachigrafia castellana‘ [Madrid, 1803] die Kurzschrift in seinem Vaterland einbürgerte und eine Stenographenschule gründete, deren Anhänger auch in Mexiko, Carácas, Buenos Ayres als Schnellschreiber der dortigen Gesetzgebenden Körper thätig sind. Ihr ist in neuester Zeit die ‚Taquigrafia sistematica‘ [Barcelona, 1864] des Garriga y Marill mit Erfolg an die Seite getreten; ein thätiger und tüchtiger Verein in Barcelona wirkt für dieses System. […]

Ein Sohn des vorgenannten Marti führte seines Vaters System, indem er es auf das Portugiesische übertrug, in Portugal ein als ‚Tachigrafia portugueza‘ [Lissabon, 1828]. […]

In Brasilien kommt ein nach englisch-französischen Mustern von Pereira da Silva Velho geschaffenes System [Rio de Janairo, 1844] im Parlament zur Verwendung. […]

In Rumänien tauchte die Kurzschrift auf, als Rosetti (1848) die Taylorsche S. seiner Muttersprache anzupassen suchte. Von einigem Erfolg begleitet war erst Winterhalders (1861) bewirkte Übertragung des französischen Systems von Tondeur. […]

Auch in Schweden, Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Rußland, Polen, Böhmen und den übrigen slawischen Ländern, Ungarn, Finnland, der Türkei, Griechenland, Armenien, Madagaskar, Japan trägt die S. das Gepräge fremder Herkunft. Es gibt in diesen Ländern keine national-eigentümlichen Stenographien, sondern nur Übertragungen ausländischer Methoden, besonders der deutschen von Gabelsberger & Stolze oder englisch-französischer. […]

In Deutschland begegnen uns merkwürdige Beispiele großer Schreibgeschwindigkeit während der Reformationszeit, wo Luthers Freunde und Gehilfen (Cruciger, Dietrich und Röhrer) Predigten, Reden, Verhandlungen u. dgl. wörtlich nachgeschrieben haben sollen. […] Im 19. Jahrhundert ist dann eine außerordentlich große Anzahl deutscher stenographischer Systeme aufgetaucht, unter denen aber nur die Methoden von Gabelsberger (1834), Stolze (1841) und Arends (1850) in den Vordergrund getreten sind. Gabelsberger schuf in seiner Redezeichenkunst das erste deutsche Nationalsystem und eroberte der graphischen Richtung das Feld. […]


[Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl. – 1892]

Dies & das

•   Postkarten um 1900

•   Zum 200. Geburtstag von Gabelsberger

Briefmarke zum 200. Geburtstag von Franz Xaver Gabelsberger - 1989

Übersetzung des Stenogramms:

Idee und Wort im Flug der Zeit
ans Räumliche zu binden
sucht‘ ich mit ernster Tätigkeit
ein Mittel zu ergründen.

Und was ich fand, das gab ich hin
Um Nutzen zu verbreiten,
O möge stets ein gleicher Sinn
Auch meine Schüler leiten!


Ausbildung zum Stenograf

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Kurzschrift häufig als Wahlfach an Gymnasien sowie in sog. Wirtschaftsschulen unterrichtet und gehörte bspw. auch zur Ausbildung von Stabsoffizieren.

Heute wird das Erlernen der Stenografie in Kursen an Volkshochschulen oder von Stenografenvereinen angeboten und ist, dank guten Lehrmaterials, auch im Selbststudium möglich.


Buchempfehlungen

Buchcover

Ilse Drews ‚STENO heute‘ – Lernprogramm für den Selbst- und Klassenunterricht
– Bildungsverlag EINS, 1996/2008

Buchcover

Hans & Margit Lambrich ‚So lerne ich stenografieren‘
– Winklers Verlag, 2009


Reklamemarke für das deutsche Einheits-Stenographie-System